kontrollierte Akustik vs. spontanes Agieren, ein Spannungsfeld zwischen Regie und Ton?
Regisseure wissen: Man spürt uns, die Tonmenschen. Ein, zwei, manchmal sogar drei Jungs (Mädels??), die sich die Stellprobe ansehen, sich Blicke zuwerfen, den Schauspielern nahetreten, sie zu irgendwelchen Abkommen überreden, was machen die?
Na bravo der Fussboden, aber denken meine Schauspieler jetzt nur mehr dran, dass sie nicht gleichzeitig gehen und reden sollen?
Um die einzelnen Töne „sauber“ und bearbeitbar aufzunehmen, versuchen wir Tonleute zunächst mal, alle unerwünschten Geräusche aus der Aufnahme zu verbannen: Wir ölen Türflügel, stellen Motoren ab, schließen die Fenster und legen Teppiche auf, damit die Schrittgeräusche den Text nicht überlagern. Wir schalten die Klimaanlage und den Kühlschrank aus und verhandeln mit der Aufnahmeleitung über Straßensperren.
Aber wir fordern auch manchmal von den SchauspielerInnen Kontrolle, in Form von „Schnittpausen“, von unterdrückten Reaktionen, Trennung von Sprechen und geräuschvollem Handeln, einer Forderung nach Mindestlautstärke im Dialog oder speziell akzentuierten Wörtern.
Wir nötigen sie, so zu tun, als wären ihre Aktionen vollkommen spontan, obwohl sie während des Spiels daran denken müssen, es für den Ton bitte so und nicht anders zu machen.
Lieber Regisseur, liebe Regisseurin, als Tonmeister übernehme ich hier Verantwortung dafür, dass Du den Ton dieser Szene verwenden kannst, jener Szene, der Du und die Schauspieler gerade Leben einhauchen. Eben um dieses Leben geht es, es soll auch akustisch soweit wie möglich bestehen bleiben. Wie viel von der Unmittelbarkeit der Szene überträgt sich über die menschlichen Stimmen?
3%? Oder eher 30%? Oder vielleicht sogar 83%?
It depends. Es hängt vom Moment ab. In einer Sekunde wird die Ausdruckskraft klar vom Originalton getragen, wenn er die Geschichte transportiert sowohl im Narrativen als auch in der Emotion. In der nächsten Sekunde, wenn die Äußerung gefallen ist, erzählen die Augen in der stummen Reaktion die Geschichte. Beide Momente zusammen bewirken den Eindruck deines Films. Es muss darum gehen, auf beiden Ebenen, im Bild wie im Ton, die eindrücklichste, lebendigste und rundeste Performance aufzuzeichnen und für die Montage des Films nutzbar zu machen.
Ich interveniere dort, wo ich überzeugt bin, dass es Deinen Film befördert und greife auf andere Möglichkeiten zurück, wenn eine Intervention für den Originalton in meiner Einschätzung einen zu hohen Preis hat. Spontanes einander ins Wort fallen schränkt die Möglichkeiten des Schnitts ein, hilft aber oft der Performance und kann ein gangbarer Weg sein, wenn Bild- und Tonschnitt an einem Strang ziehen. Wenn das Warten auf eine ruhige Gelegenheit die Energie zermürbt, können kurze Sätze und Reaktionen auch hinterher an einem ruhigeren Ort nachgesprochen werden, ohne dass man dabei die Energie des Spiels verlieren muss. Man muss die Nachsprecher nur genauso ernsthaft betreiben, wie das Spiel vor laufender Kamera. Auch das Austauschen einzelner Sätze aus besser funktionierenden Setups kann unter bestimmten Bedingungen ein Weg sein. Und schließlich: gekonntes Nachsprechen im Synchronstudio ist ein Weg, der gilt, nur zwingt er der Performance der Schauspieler noch viel mehr Einschränkungen auf, als jede Tonintervention am Set.
Es ist hilfreich, wenn Dir als RegisseurIn bewußt ist, auf welches Element Deines Films es gerade ankommt und Du uns im besten Fall Deine Gedanken auch mitteilst:
Sie soll das ganz leise sagen. Ich möchte es aber trotzdem gut verstehen.
Dann können wir z.b für diesen Satz die Fenster des Autos schließen, die 2. Kamera nicht in der Totalen mitlaufen lassen oder den Lärm der randalierenden Menge für diesen Moment verstummen lassen.
Du meinst, wir lassen die Fenster offen und der Fahrtwind wäre ein super natürliches Hintergrundgeräusch?