Ich bin Set-Tonmeister. Ich kümmere mich im wesentlichen darum, dass man versteht, was Leute im Kino oder Fernsehen sprechen. Schauspielerversteher… in etwa.
Wenn man uns lässt und wir unsere Arbeit gut machen (die Schauspieler, meine Mitarbeiter und ich), müssen meine Freunde nicht ins Synchronstudio und die Emotion, die sie beim Drehen verkörpert haben, bleibt akustisch im fertigen Film erhalten. Ich entschuldige mich jetzt gar nicht bei den Synchronstudios, mein Job ist einfach, ihnen die Arbeit wegzunehmen.
Ich sage immer, Film-Tonmeister sind innerhalb der allgemeinen Tonmeisterei so etwas wie die Zahnärzte in der Medizin. Keiner mag Zahnärzte, sie fahren fette Autos, sind 2 x geschieden, haben eine Villa in Klosterneuburg und einen grottenschlechten Musikgeschmack. Nein eh, scherz, aber Zahnärzte sind jetzt im Allgemeinbewusstsein nicht sooo die Sympathieträger.
Zahnärzte sind Spezialisten, von denen die meisten ihren Job gut können. Wenn man einen Herzinfarkt hat, sollte man damit nicht zum Zahnarzt gehen. Auch nicht zum Tonmeister übrigens, obwohl ich Mitte der 80er Jahre wirklich umfassend in erster Hilfe ausgebildet wurde. Aber wenn sich, wie bei mir voriges Jahr, der Weisheitszahn meldet, sollte man besser bald zum Zahnarzt, eher als zum Internisten, auch wenn gerade ein Internist vor Ort ist. Und wenn man verstehen will, was Schauspieler im Kino sagen, sollte man einen Set-Tonmeister beschäftigen und keinen Musiker.
Zahnärzte werden nicht berühmt, dafür verdienen sie gut. Auch Set-Tonmeister haben beim Berühmt werden sehr begrenzte Möglichkeiten. Und ich kenne im Ernst Ton- Kollegen, die haben wirklich eine Villa. Wie sie das finanziell machen, weiss ich leider nicht. Trotzdem gefällt mir mein Vergleich. Denn wenn Zahnärzte arbeiten, tun sie anderen weh, und gefühlt ist das ist bei uns Tonmeistern auch so, … warum eigentlich?
Dafür gibt es mehrere Erklärungsmodelle. Am Set arbeiten zum Beispiel alle für das Bild, nur die Tonis wollen nicht mitspielen und kochen ihre eigene Suppe. Und damit sie überhaupt was sinnvolles aufnehmen können, nehmen sie den anderen den Spass weg und wollen dass immer alles ruhig ist. Sehr ruhig. Klinisch ruhig. Am besten keiner bewegt sich mehr und alle ziehen die Schuhe aus.
Aber zurück zu den Zahnärzten: Ein bisschen unterstell ich nämlich, dass Zahnärzte technikfixiert sind, zumindest sind sie stolz auf das High Tech in der Praxis. Und Tonmeister beim Film? Äh…
Zahnärzte kennen ihre Klienten eher kurz, dafür intensiv. Es ist eigentlich ein privater Übergriff, einem fremden Menschen in den Mund zu greifen, dann schreit er vielleicht und man sieht auf jeden Fall seine Angst und den Schmerz. Das geht nur mit einer gehörigen Portion Diskretion und Vertrauen auf beiden Seiten. Genauso privat ist es, einem Schauspieler ein Funkmikrofon anzulegen, der sich dazu vor dir entblössen muss, sich bei der Aufnahme auf die Emotion in seiner Stimme zu konzentrieren und ihm hinterher, wenn er vergessen hat, dass er verkabelt ist, theoretisch privat weiter zuhören zu können. Auch das hat mit gegenseitigem Vertrauen zu tun und erfordert professionelle Diskretion.
Voriges Jahr am Filmset hat mein Weisheitszahn rechts unten begonnen weh zu tun. Ich war fünf mal in der einen Woche beim Zahnarzt, am Feiertag, spät abends und am Wochenende. Er war Rumäne, 2 x geschieden, hatte vermutlich keine Villa, aber ich konnte ihm vertrauen. Und mein Weisheitszahn ist weg, seitdem bin ich schmerzfrei. Der Beginn einer wunderbaren Freundschaft.